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Interview mit Familientherapeut Jesper Juul

Eltern, die viel zu höflich sind. Kinder, die süchtig nach Lob werden. Und Familien, die das Glück erzwingen wollen. Der dänische Therapeut Jesper Juul kennt sie alle

Quelle (auch aller weiteren Zitate): Familientherapeut Jesper Juul: „Ich kämpfe täglich mit deutschen Müttern“ | ZEIT ONLINE

Ein interessantes Interview mit Jesper Juul. Er erklärt, dass Disziplin heute nicht mehr so großen Wert habe wie in der Nachkriegszeit.

Kinderkrippen sieht er kritisch, denn

Dänische Forschungen haben ergeben, dass es [das Kind in die Krippe geben] bis zum Alter von zwei Jahren tatsächlich bei 15 bis 20 Prozent der Kinder schädlich für das Gehirn ist – der Stress der Trennungsangst greift es an. Ich würde das, wenn ich Vater eines kleinen Kindes wäre, nicht riskieren, es sei denn, ich wüsste sicher, dass mein Kind keine Probleme mit Beziehungen zu Erwachsenen und anderen Kindern hat, dass es sich wohlfühlt und fest auf seinen Beinen steht.

Strafen und Belohnungen (als extrinsische Motivation) sieht Juul ebenfalls kritisch. Das Problem mit dem Loben habe ich nicht ganz verstanden; vielleicht meint er damit allgemeines Lob wie „Du bist ein guter Junge!“, denn er sagt

Was hätte ich [statt des Lobes] heute Persönliches sagen können?

Also statt dessen „Ich fand es toll, wie Du Dich heute überwunden hast und auf den hohen Turm gestiegen bist.“?

Interessant auch die Aussage, dass Erziehung kaum Eindruck auf Kinder mache, sondern Erlebnisse: der Umgang der Eltern miteinander, mit den Kindern und anderen Mitmenschen. Also Vorbild sein. Kinder lernen durchs Nachmachen.

Children playing outdoors.jpgChildren playing outdoors“ von U.S. Fish and Wildlife Service – Quelle. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons.

Und weiter:

Sie müssen ihre eigenen Erfahrungen machen, und sie brauchen Eltern, die sie führen

Die etwas tun, nicht nur reden. Da fällt mir eine Geschichte von Jan-Uwe Rogge ein, Autor und Erziehungsexperte. Eine Mutter möchte mit ihrem Sohn mal eben zu ihrer Mutter fahren und versucht ihn mit vielen Worten zu überzeugen, mitzukommen (er ist schon älter). Ihr Sohn sagt danach: „Sie hätte einfach sagen sollen: Ich will, das wir zu Oma fahren!“ Und was hätte das gebracht? „Wir wären 15 Minuten eher bei Oma gewesen!“

Wenn man Kinder untereinander beobachtet, sieht man sie handeln. Sie reden nicht lange.

Juul findet, dass Kinder oft zu sehr im Zentrum stehen. Und im Zentrum ist es einsam. Er rät Eltern, die glauben, Kindern immer zur Verfügung stehen zu müssen, den Kindern weniger Aufmerksamkeit zu schenken.

Zum Schluss warnt er noch vor Perfektionismus in der Erziehung. Ähnlich wie Rogge, der empfiehlt: am Abend auf jeden „Erziehungsfehler“ ein Gläschen trinken.