Der Tag entfloh, das abendliche Dunkel
Entnahm die Tiere, die auf Erden weilen,
Allseitig ihrer Müh' ; nur ich allein *
Bereitete mich vor zum Doppelkampfe
Der Wanderschaft sowohl als auch des Mitleids,
Den die Erinnrung, die nicht irrt, nun melde.
Jetzt, Musen, helft mir, hilf erhabner Geist,
Gedächtnis, das verzeichnet, was ich schaute,
Hier möge sich dein Adel offenbaren! *
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Wie antike Dichter (Homer, Virgil) vor ihm, ruft Dante die Musen an, ihm zu helfen, die Geschichte zu erzählen. Und hier erscheint der Erzähler Dante. Seine Worte sind in der Gegenwartsform geschrieben, während er vom Wanderer, Pilgerer Dante in der Vergangenheitsform erzählt.
O Dichter, hub ich an, der du mich leitest,
Erwäge meine Kraft, ob sie auch hinreicht,
Eh' du mich wagen lässt die kühne Wandrung.
Zwar sagst du, dass des Silvius frommer Vater
Verweslich noch zur wandellosen Welt
Gepilgert sei mit seinem Erdenleibe;
Vergil lässt im sechsten Gesange der Äneide unter Leitung der Cumäischen Sibylle den Äneas die Unterwelt besuchen.
Doch, wenn der Feind des Bösen, in Erwägung
Der Zukunft, die sich an Äneas knüpfte
Des wer und was, ihm solche Gunst gewährte,
Wer? der Kaiser - Was? der päpstliche Stuhl
Kann tiefer Denkende das nicht befremden,
Weil er erkoren war im Empyreum
Zum Vater Roms und seines hohen Weltreichs.
Denn beides war, die Wahrheit zu bekennen,
Vorherbestimmt zum gottgeweihten Orte,
Wo der Nachfolger Petri seinen Sitz bat.
Nur dadurch, dass der oberste Bischof seinen Sitz im Mittelpunkt des römischen Weltreiches hatte, konnte das Christentum, als römisch-katholisches, Weltreligion werden.
Auf jener Wanderung, die du ihm nachrühmst,
Vernahm er Dinge, die zu seinem Siege
Und zu der Päpste Mantel mitgewirket.
Auch das erwählte Rüstzeug ging hinüber,
Um für den Glauben Kräftigung zu bringen,
Der Anfang ist zum Wege der Erlösung.
Der Apostel Paulus heisst Apostelgeschichte IX. 15 "ein Gefäss der Wahl".
Doch welchen Grund hab' ich und wer gewährt mir's?
Äneas bin ich nicht und bin nicht Paulus;
Für würdig hält mich niemand und ich selbst nicht.
Drum, wenn dem Wunsch des Gehns ich mich ergebe,
Befürcht' ich Törichtes zu unternehmen.
Erwäg' es selbst, der weiser du als ich bist. -
Und wie, wer nicht will, was zuvor er wollte,
Und, Neues sinnend, seinen Vorsatz ändert,
So dass sein erstes Ziel er gänzlich aufgibt,
So widerfuhr mir an dem düstren Abhang.
Bedenkenvoll entsagt' ich dem Beginnen,
Das, als ich es ergriff, bei mir so feststand. -
Wenn richtig deine Meinung ich verstanden,
Erwiderte der Schatten jenes Hohen,
Hat Kleinmut deiner Seele sich bemächtigt,
Der oft in solchem Maß den Mann betöret,
Dass er von ehrenvoller Bahn ihn abzieht,
Wie falsches Sehn die Tiere, wenn sie scheuen.
Damit von solcher Furcht du dich befreiest,
Vernimm, weshalb ich kam und was ich hörte,
Als deiner mich zum erstenmal erbarmte.
Ich weilte da, wo Freude nicht noch Pein ist.
Da rief ein Weib mich, die so schön als selig,
So dass, mir zu gebieten ich sie ansprach.
Béatrice
Ihr Auge leuchtete so hell als Sterne,
Und leis und langsam hub sie zu mir an
Mit engelgleichem Laut in ihrer Rede:
Du wohlgesinnte Mantuanerseele,
Von deren Ruhm die Welt noch jetzt erfüllt ist
Und bleiben wird so lang als die Bewegung,
Solange die Welt besteht
Mein Freund, der aber nicht des Glückes Freund ist
Wird an dem wüsten Berghang so behindert
In seinem Weg, dass er vor Furcht zurückweicht.
Nach dem, was ich von ihm im Himmel hörte,
Besorg' ich fast, er sei schon so verirret,
Dass ich zu spät zur Hilfe mich erhoben.
Durch den Bericht der Lucia, siehe weiter unten im Gesang.
So eile denn, mit kunstgeübter Rede
Und dem, was sonst zu seiner Rettung not tut,
Um so zu helfen, dass ich sei getröstet.
Ich bin Beatrix, die zu gehn dir aufträgt.
Dorthin zurück, woher ich kam, verlangt mich.
Die Liebe ließ mich gehn und heißt mich reden.
Bis ich demnächst aufs neu vor meinem Herren,
So werd' ich oft, was du getan, ihm rühmen. -
Dann schwieg sie; aber ich begann zu reden:
O Frau, so hochbegnadigt, dass die Menschheit
Nur ihretwillen alles überraget,
Was sonst noch in sich schließt der engste Himmel,
Gotteserkenntnis ist nur dem Menschen unter Mitwirkung göttlicher Gnade gewährt
So sehr ist mir, was du befiehlst, willkommen,
Dass, hätt' ich's schon getan, zu spät mir's schiene;
Mir deinen Wunsch mehr zu enthüll'n bedarf's nicht.
Doch, sage mir den Grund, dass du nicht Scheu trägst,
In diesen Mittelpunkt herabzusteigen
Vom weiten Raum, wohin du dich zurücksehnst. -
Verlangst du denn so tief eingehnde Auskunft
Sprach sie zu mir, will ich dir kurz berichten,
Warum hierherzukommen ich nicht fürchte.
Furcht hegen soll man nur vor solchen Dingen,
Die Schaden uns zu tun die Macht besitzen;
Vor andren nicht, weil nichts an ihnen furchtbar.
Durch seine Gnade schuf der Herr mich also,
Dass all eu'r Elend mich nicht kann berühren,
Und dieses Brandes Flamme mir nichts anhat.
Elend ist schon im Limbus, dem ersten Höllenkreise, Flammen aber sind nur in der Hölle.
Ein holdes Weib beklagt im Himmel droben2
Das Hindernis, zu dem ich dich entsende,
So dass sie harten Richterspruch dort umstößt.3
2Die heilige Jungfrau. Ihr Name so wenig als der Christi wird in der Hölle genannt. 3Maria erbarmt sich der Bedürftigen nicht nur auf dessen Bitte, sondern sie kommt ihr oft freiwillig zuvor.
Lucìen trat sie an mit ihrer Bitte,4
Und ihre Worte waren: dein Getreuer5
Bedarf jetzt dein und dir sei er empfohlen. -
4Unter den mehreren heiligen oder seligen Lucìen ist die bekannteste die von Syrakus, die Nothelferin für Augenleiden. 5War Lucìa eine Freundin des Dichters?
Lucìa, die jedweder Härte Feind ist,
Begab sich zu dem Ort, wo ich verweilte,
Wo ich mit Rahel saß, der Tochter Labans.
Beatrix, sprach sie, wahres Lob des Herrn,
Was hilfst du dem nicht, der dich so geliebt hat,
Dass er um dich verließ den großen Haufen?
Vernimmst du nicht den Schmerzlaut seiner Klage,
Gewahrst du nicht den Tod, der mit ihm streitet
Am Flussgestade, schlimmer als der Meeresstrand? -
Den geistigen Tod.
Dort in der Welt war niemand je so eilig,
Ihm Dienliches zu tun, zu fliehen den Schaden,
Als ich, nachdem ich dieses Wort vernommen.
Zu dir kam ich von meinem sel'gen Sitze,
Auf deiner würd'gen Rede Macht vertrauend
Die dich und alle, die sie hörten, ehret. -
Als diese Wort sie zu mir gesprochen,
Verwandt' in Tränen sie den Glanz der Augen,
Wodurch sie zu noch größrer Eil' mich antrieb.
Wie sie geboten, kam ich her zu dir
Und führte dich hinweg von jenem Tiere,
Das dir zum Berg den graden Weg versperrte.
Was hast du nun, dass du noch länger zauderst?
Was nährest solchen Kleinmut du im Herzen?
Was hegst du Zuversicht und frischen Mut nicht,
Da drei so hoch gebenedeiten Frauen
In Himmel führsorgend dein gedenken
Und meine Rede solches Heil dir zusagt? -
Die Blümlein, die der Nachthauch schloss und senkte,
Sobald die Morgensonne sie erleuchtet,
Sich auf dem Stiel aufrichten und erschließen,
So kräftigte sich mein gesunder Mut,
Und so viel Sicherheit gewann mein Herz,
Dass ich begann, wie wer von Zweifeln frei ist:
Gesegnet sei, die mir zu helfen eilte.
Dir aber dank' ich, dass du gern bereit warst,
Zu tun, wie wahrheitstreu sie dir gesagt hat.
Den Wunsch, mit dir zu gehn, hast du im Herzen
Mir also angefacht durch deine Worte,
Dass ich zurück zum ersten Vorsatz kehrte.
So geh denn; nur ein Will' ist in uns beiden.
Sei du mir Herr, mir Meister, sei mir Führer. -
Da wandt' er sich zum Gehn, und unsre Schritte
Betraten einen Pfad, der rauh hinabstieg.
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