Dante - Die Göttliche Komödie

Die Hölle

Siebter Gesang

Bei des Bewußtseins Rückkehr, welches Mitleid
Mit den zwei Schwägern mir genommen hatte
Und mir das Herz erfüllt mit Traurigkeit
Seh' ringsum neue Qualen ich und neue
Gequälte, wohin auch den Blick ich wende,
Wohin ich schaue und wohin ich mich kehre.[*]
Ich bin im dritten Kreise, dem des ew'gen,
Verwünschten, kalten, qualvollen Regens,
Des Art und Weise nimmer sich verändert.
Grobkörn'ger Hagel, Schnee und trübes Wasser
Fällt rastlos durch die finstre Luft hernieder;
Der Boden sinkt, der solch Gemenge aufnimmt.
Und Cerberus, das Untier sondergleichen,
Bellt aus drei Rachen, so wie Hunde pflegen,
Die Schatten an, die dort am Boden liegen.
Rot ist sein Auge, schwarz der Bart und schmierig,
Der Bauch geschwollen, krallig sind die Hände;
Er kratzt die Geister, schindet und zerfleischt sie.
Der Regen macht sie heulen als wie Hunde;
Oft wenden sich die elenden Verfluchten,
Dass eine Seite Schutz der andern biete.
Als Cerberus uns sah, der grosse Wurm,
Riss er die Rachen auf, zeigt' uns die Zähne,
Und seiner Glieder keines hielt er stille.
Mein Meister öffnete die beiden Hände,
Griff Erdreich auf, und mit gefüllten Fäusten
Warf er hinein es in die gier'gen Schlünde.
Dem Hunde gleich, der im Heisshunger belfernd,
Wenn er den Frass gepackt hat, sich beruhigt,
Und ihn nur zu verschlingen strebt und trachtet,
So wandelten sich die unsaubern Schnauzen
Des Teufels Cerberus, der jene Seelen
So anbellt, dass sie wünschten taub zu sein.
Fort ging es durch die Schatten, die der Regen
Daniederhält; es traten unsre Sohlen
Auf ihre Nichtigkeit, die Wesen scheinet.
Sie lagen hingestreckt am Boden alle;
Nur einer richtete sich elend auf,
Als er uns sah, wie wir vorübergingen.
Der du geführet wirst durch diese Hölle,
Erkenne mich, sprach er, wenn du's vermagst;
Begann dein Leben doch, eh' meins geendet. -[*]
Ich sagte drauf: Die Qual, die du erduldest,
Entfremdet dich vielleicht so der Erinnerung,
Dass es mich dünkt, ich sah zuvor dich nimmer.
Doch nenne dich, dem solch unsel'ge Stelle
Beschieden ist und eine Strafe, welche,
Wenn grösser nicht, doch ekler ist als alle. -
Drauf' sagt er: Deine Stadt, die so von Neide
Erfüllt ist, dass der Sack zu bersten droht,
Umfasste mich dereinst im lichten Leben.
Ihr Stadtgenossen nanntet mich nur Ciacco,[*]
Weil ich ergeben war der Schlemmerei,
Und wie du siehst, zernagt mich itzt der Regen.
Auch ich bin nicht allein hier, um so zu trauern;
Nein, alle dulden wir die gleiche Strafe
Aus gleicher Ursach' - und damit verstummt' er.
Ich sagte darauf: O Ciacco, deine Qual
Rührt mich so sehr, dass ich dem Weinen nah bin;
Doch sage mir, wenn du es weisst, welch Ende
Der zwiegespaltnen Bürger Streit nimmt, sage,
Ob einer dort gerecht ist und warum
Die Stadt von solcher Zwietracht ist befallen -
Darauf erwidert' er: Nach langem Hader
Fliesst endlich Blut, und die Partei der Fremden[*]
Vertreibt die andre, vielfach sie beschäd'gen.
Dann, eh' drei Jahre schwinden, fällt sie wieder,
Und jene andre trägt den Sieg davon
Durch dessen Hilfe, der jetzt noch laviert.[*]
Hoch wird sie lange Zeit die Stirne tragen[*]
Und schwere Last auf die besiegten häufen,
Wie gross für diese Scham und Schmerz auch seien.
Gerecht sind zwei; doch unverstanden sind sie.[*]
Die Funken, welche jedes Herz entzündet,
Sind Neid und Geiz mit Hochmut im Vereine. -
Hier endet' er die schmerzensvolle Rede.
Ich aber sprach: Belehre mich noch weiter
Und schenke mir noch mehr von deiner Rede:
Tegghiaio und Farinata, jene Wackren
Jacopo Rusticucci, Arrigo, Mosca,
Die andren auch, die recht zu handeln strebten:
Sag' an, wo sind sie? Lass mich sie erkennen;
Denn gross Verlangen heg' ich, zu vernehmen,
Ob Höllengift, ob Himmelssüss' ihr Los ist. -
Und er darauf: Verschiedenart'ge Schuld
Stiess tiefer sie hinab zu schwärzren Schatten;
Stiegst du soweit hinab, kannst du sie sehen.[*]
Doch, bist du heimgekehrt zur schönen Welt,
So rufe mich den Leuten ins Gedächtnis.
Mehr sag' ich nicht, noch geb' ich weiter Antwort. -
Den graden Blick verdreht' er nun zum Schielen;
Sah mich ein Weilchen an, den Kopf dann senkt' er
Und fiel zu Boden gleich den andren Blinden.
Der Meister sprach: Der steht nicht wieder auf,
Bis die Posaun' am letzten Tag ertönet
Und die Gewalt erscheint, die ihnen feindlich.[*]
Sein unheilvolles Grab sucht jeder dann,
Sein Fleisch und sein Gebein nimmt er zurück,
Was ewig widerhallen wird, zu hören. -
Indes durchgingen wir langsamen Schrittes
Der Schatten und des Regens schmutz'ge Mischung,
Das künft'ge Leben im Gespräch berührend.
Den Meister fragt' ich: Werden diese Qualen
Noch wachsen nach dem grossen Richterspruch,
Wird Mindrung folgen, oder gleich sie bleiben? -
Drauf er: Gedenke deiner Wissenschaft,[*]
Die jedem Dinge, im Mass als es vollkommner,
Mehr Sinn für Freuden wie für Schmerzen beimisst.
Ob niemals gleich dies fluchbeladene Volk
Zu wirklicher Vollkommenheit gelangt,
Wird wesenhafter doch nach jenem Tag es. -[*]
In weitem Bogen gingen wir die Strasse,
Besprechend manches, das ich nicht berichte.
Und angelanget, wo der Weg hinabführt,
Erblickten Pluto wir, den grossen Feind.


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