Rezensionen


 
John Irving: Zirkuskind
 
John Irving: Owen Meany
 
John Irving: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
 

Ein transsexueller Mörder...

... und andere indische Lebewesen

Als da wären der schon erwähnte transsexuelle Mörder, ein in Indien geborener Arzt namens Dr. Daruwalla, der in Kanada lebt, für den Zirkus im allgemeinen und Zwerge im besonderen schwärmt und heimlich die Drehbücher der von allen Einwohnern Bombays heiß gehaßten Kinokrimiserie "Inspektor Dhar", schreibt, in der sein schwuler Adoptivbruder John D. die Hauptrolle spielt, sowie dessen jesuitischer Zwillingsbruder. Desweiteren gibt es noch einen echten indischen Polizeiinspektor samt seiner Frau aus Iowa, die ihr Geld in einem Dildo versteckt, den sie wiederum von einem deutschen Drogendealer hat, der damit einst Koks schmuggelte. Nicht zu vergessen die gesamte Transvestiten-, Prostituierten-, und Hijra-Szene (und alle Kombinationen), eine amerikanische Filmcrew, die Brüste entblößende Lady Duckworth, deren Mann den Duckworth-Club gründete, den Daruwalla so liebt; den Club also und dessen Butler, der so ziemlich alles und jeden mißbilligt, zum Beispiel die ominöse Mrs. Dogar.

Diese und andere Gestalten beteiligen sich am bunten Treiben in John Irvings neuesten Roman "Zirkuskind". Virtuos knüpft Irving aus einem Netz von Geschichten und Geschichtchen einen Roman um Dr. Farrokh Daruwalla, der zwar in Indien geboren, dort aber nicht heimisch ist. Trotzdem kehrt er ab und zu nach Bombay zurück. Und da Indien ein ungeheuer buntes Land ist, ereignen sich hier die wildesten Geschichten. So bleibt dann auch nur eines übrig: den Roman zu lesen.


John Irving: Owen Meany

...eines der perfektesten Romane

In diesem Roman geht es um Owen Meany, einem Jungen, der nicht größer als einsfünzig wird und dessen Stimme so seltsam ist, daß alles was er sagt, in Großbuchstaben gedruckt ist. Er lebt mit seinem besten Freund John (dem Ich-Erzähler) in Gravesend, New Hampshire. Soweit eine typische Tom-Sawyer- und Huckleberry-Finn-Geschichte.

Doch Owen hat eine Vision, er sieht seinen eigenen Grabstein - inklusive Sterbedatum. Später hat er einen Traum, in dem er sieht, warum er stirbt. Er glaubt fest, daß er ein Werkzeug Gottes ist. Soweit die Geschichte eines amerikanischen Messias. Dabei setzt sich Irving mit dem Thema Glaube an "Gott" auseinander - es ist also keine reißerische Story um Gut und Böse wie in Kings "The Stand - Das letzte Gefecht", der sich mit diesem Thema überhaupt nicht auseinandersetzt und lieber mit Atombomben spielt.

Aller guten Dinge sind drei. "Owen Meany" ist nicht zuletzt ein Kriminalroman. Es gilt zwar keinen Dieb oder Mörder zu suchen, doch es gilt nicht nur die genauen Umstände von Owens Tod herauszufinden, sondern auch Johns leiblichen Vater zu finden. Dies hat Johns Mutter nie verraten, bevor sie starb - der kleine Owen hat bei einem Baseball ausnahmsweise ganz feste zugeschlagen - der Ball traf Johnnys Mutter tödlich an den Kopf. Auf den Tod von Owen läuft letztlich alles hinaus, obwohl der Roman in zwei Zeitebenen geschrieben ist - einmal in den 60'ern, als Owen noch lebt, und dann Ende der 80'er, als John auf alles zurückblickt. Irving schafft es sogar, von Owens Beerdigung zu erzählen, bevor der Leser überhaupt weiß, wie es passiert ist. Dieser Roman verbindet verschiedene Genre so meisterhaft miteinander, daß er durchaus ein Klassiker werden kann. Einfach klasse...


PS: Übrigens liest sich das englischsprachige Original "A Prayer for Owen Meany" auch ganz gut!


John Irving "Die wilde Geschichte vom Wassertrinker"

Fred "Bogus" Trumper hat es nicht leicht. Er hat seine Frau Biggie (Ex-Skiweltmeisterin) und seinen Sohn zu versorgen. Dabei hat ihn sein Vater enterbt und er schreibt an seiner Promotion (Übersetzung einer 421-strophigen Ballade aus dem altniedernordischen - einer vergessenen Sprache).

Aber er ist auch der Tonmeister des Undergroundfilmemachers Packer. Doch das hilft alles nicht, und er flüchtet nach Wien. Nach halbjährigem Aufenthalt dort kehrt er zurück. Frau und Kind leben inzwischen bei seinem besten Freund. Man trennt sich mit guten Worten. In New York findet er bei Packer seinen alten Job und auch seine neue Freundin Tulpen.

Die will sogar ein Kind von ihm, was ihm jedoch nicht paßt. Packer will auch etwas von Trumper: Einen Film über ihn drehen, Titel "Der Griff in die Scheiße".

Außerdem hat Bogus Probleme beim Pinkeln. Er geht zu einem berühmten Urologen, Diagnose: Urogenitialtrakt schmal und gewunden; Folge: Bakterien setzen sich nach jeder Liebesnacht in den Nischen fest. Trumper darf zwischen vier Behandlungsmethoden wählen: 1. jede Menge Medikamente und zeitweilige Unpäßligkeiten; 2. Enthaltsamkeit und einsame Freuden; 3. Vorher und nachher jede Menge Wasser trinken; 4. eine einfache Operation, bei der der Trakt begradigt und vergrößert wird.

Für welche Methode wird sich Trumper entscheiden? Was wird aus dem Film? Kriegt Tulpen doch ein Kind? Soviel verrat' ich nicht...


Was sich vielleicht wie ein Script für eine dieser ewigen Nachmittagsserien anhört, ist in Wahrheit ein grandioses Buch. Es ist - ganz Irvings Stil - von der ersten bis zur letzten Seite wahrhaft burlesk geschrieben Man kommt einfach aus dem Schmunzeln nicht mehr heraus. Wenn das Wort Lesevergnügen ein Beispiel kennt, dann dieses.

Dabei ist das Thema gar nicht so trivial. In seinem Buch geht es eigentlich darum, wie Bogus "sich selbst findet" (so würden es die einen sagen) bzw. " sein Leben ordnet" (meinen vielleicht die anderen). Dabei verpackt Irving die durchaus ernste Aussage seines Buches so geschickt hinter seinen Possen, die er reißt, daß mir erst im letzten Satz klar wurde, welches das eigentliche Thema des Buches ist.

Dabei verzichtet er auf hintergründige Analysen, "revolutionäre" avantgardistische Stilebenen, Tips oder den pädagogischen Zeigefinger. Vielmehr ist sein Beitrag zu diesem Thema schlicht die Geschichte von Bogus Trumper.

Ohne weitere - unnötige - Lobeshymnen auf dieses Buch: Lest es einfach, ich denke, ihr werdet es mögen.

 



(C)+(P) Erik Pischel
Last modified: Tue Oct 20 22:07:50 MET DST